Die Grenze: Grenze individueller Lebensräume

„Was immer wir als Bausteine wählen, seien es Ziegel oder Euklids Elemente, bestimmt Grenzen. Wir erfahren diese Grenzen aber sozusagen nur von >innen<, aus der Ziegelperspektive oder aus der euklidischen Perspektive. Die Schranken der Welt, an denen unsere Unternehmen scheitern, bekommen wir nie zu Gesicht. Was wir erleben und erfahren, erkennen und wissen, ist notwendigerweise aus unseren eigenen Bausteinen gebaut und läßt sich auch nur auf Grund unserer Bauart erklären.“1

Auf ein neues sitze ich hier und versuche die Grenze zu erfassen. Die Grenze scheint so etwas wie eine Fassung zu sein – ein Übergang von Etwas zum Anderen. Denken wir an Grenze kommt uns meistens etwas starres, rahmendes in den Sinn obwohl eine Grenze durchaus etwas dynamisches sein kann bzw. ist – in zeitgemäßer Superlative – dynamisch relational und relativ omnipräsent.

Die Grenze – trennt etwas – sei es nun dynamisch oder nicht und will man von Innen und Außen sprechen so kann es auch sein das sie eine Trennung des Inneren wie des Äußeren Etwas ist. Wenn es so etwas wie Außen und Innen gibt ? Im Angesicht einer Relativität wird die Trennung zwischen Innen und Außen für Sinnlos erklärt und erhält ihre Daseinsberechtigung nur durch unseren Klassifiaktionsautismus.2 Denn Innen und Außen ist in >Wirklichkeit< nicht getrennt sondern ein fließender Übergang von einem Substrat zum anderen – die Unschärferelation legt sich wie ein trübes Glas über den Versuch einer (Grenz)Bestimmung – während die kollektive >Wirklichkeit< den Rest verzerrt. Eine Differenzierung zwischen Innen und Außen leitet sich also aus unserer Wirklichkeitskonstruktion ab. Deswegen scheinen für uns Grenzen einen realen Charakter zu haben (wir brauchen sie) – und wir sind bemüht diese Realität zu Materialisieren um uns zu verankern unser Leben zu fassen – der Sicht unserer Dinge Ausdruck zu verleihen. Während wir selbst in unserem Denken rekursiv von unserer eigenen intersubjektiven Raumsynthese beeinflusst werden. So irrt er umher – der Mensch – mit einem sicheren Bewusstsein einer [Innen <> Außen] Beziehung. Bekräftigt durch Phrasen wie das >In mich gehen< – also durch unsere Kommunikation – wird (Raum)Wahrnehmung während der Adoleszenz – scheinbar autosuggestiv – antrainiert. Realität wird durch die kollektive Raumwirklichkeit innerhalb einer rekursiven Operation konstruiert und – im gefühltem Ich zur eigentlichen Raumwahrnehmung – zum Substrat einer Wirklichkeit – synthetisiert. Innen und außen verschmelzen zu dem Konglomerat einer unentdeckten Raumwirklichkeit wenn man erkennt das der (Schon)Raum und (Nicht)Raum eine reziproke und rekursive Einheit bilden.

Ist die Grenze nun der Übergang von diesem Substrat zum anderen oder ist sie die Transformation von Etwas von einem – wenn man so sagen will – Feld in das andere ?

Egal aus welcher Perspektive sie scheint so etwas wie ein ÜbergangsBruch (Übergangsobjekt 3) zu bleiben bzw. eine Falte zu sein – um kurzzeitig in postmodernen Emotionalien zu wühlen. Die Grenze – eine spürbare Veränderung von unbestimmten Parametern unbestimmter Potenziale innerhalb von etwas oder im Übergang von Etwas zum Anderen. Dieses Etwas befindet sich im Übergang innerhalb von zwei spontanen Ereignissen während eines Ereignismoments von unbestimmter Zeit bzw. innerhalb einer Grenze. Dieses Übergangskontinuum – wird zum Teil des Zwischenraums während das eigentliche – davor und dahinter – zur Grenze des scheinbaren Zwischenraums – zu der momentanen Grenze – selbst wird. Die >momentane Grenze< ist die Definition einer permanenten Gegenwart – Erscheinung des Raums und der Zeit individueller Lebenszeit.

Zwei Flächen – Schwarz zu Weiß – grenzen sich klar voneinander ab – jede bildet seine eigene Einheit – eine Grenze ist nur theoretisch vorhanden aber praktisch zu sehen – redet man von oben und unten muss es auch ein dazwischen geben ?!

Bilder einer konstruierten Wirklichkeit ziehen sich durch unsere Sicht des Raums – sei es nun der physische oder der psychische – durch unsere Raumwahrnehmung. Während wir uns Zeit unseres Lebens durch ein Grenzkontinuum bewegen – durch die Räume unserer kollektiven Wirklichkeit. Sie nie durchschreitend – die Grenze (oder die Zeit) – als allgegenwärtiger Begleiter im unbemerkten Niemandsland – welches sich wie die ägyptische Finsternis über uns legt.

Zwischen den Territorien unbestimmter Wahrnehmungsbezirke wird die Grenze zum Niemandsland – der Zwischenraum – ein eingeleiteter Übergang mit Ereignishorizont tut sich beim Grenzübertritt auf. Und während man stetig geht – und sei es nur in der Zeit – Zeit seines Lebens – durchwandert man Zonen von Spannung und Druck um im gleichen Augenblick dieses Ungleichgewicht in einem rekursiven Wechselspiel als Motor für den Fortschritt zu benützen. Die Grenze – als Zustand – als Zustand der Zeit welche sich an der Zone unseres Übergangs verdichtet und als Wirklichkeit realen Charakter annimmt.

„Es ist vieles der Wirklichkeit fähig und weltfähig, was in einer bestimmten Wirklichkeit und Welt nicht vorkommt.“4

Real ? – ist Wirklichkeit dieser Grenzzustand ? – dieses spontane Ereignis in Anbetracht einer Unendlichkeit der Endlosschleife unserer Operationen – unabhängig von Zeit. Es ist der Lebensraum welcher sich für uns zu einer Realität – der Raumwirklichkeit – verdichtet. Die Sphären des Drucks und der Spannung – eines scheinbaren Außen wie von Innen und umgekehrt – materialisieren sich für uns in den Grenzen unserer (Lebens)Zeit. Grenzen definieren den Lebensraum – fassen ihn um ihn gleichzeitig von beiden Seiten sichtbar zu machen. Allerdings nur fragmentiert an der Oberfläche des Übergangs – Wellenspitzen durchdringen dieses etwas – dieses fluide Substrat – um visuell in isomorpher Gestalt ans Tageslicht zu treten – eckig,geordnet in Struktur – um der Desorientierung durch die Unschärfe der Realität – in einem rekursiven Steuerungsprozess entgegen zu wirken.

Der Übergang einer unbestimmten Grenze – ein zähes transluzentes Substrat einer individuellen Wahrnehmungsoberfläche – wird zum trennenden Horizont zwischen Öl und Wasser und erklärt sich im End-Effekt durch die Dichte. Die Dichte des kollektiven Raums errichtet die Grenzen einer individuellen Raumwirklichkeit und scheint zugleich das Medium isomorpher Individualisierungsneurosen einer postfeudalen Produktionsgesellschaft. All das ist ein rekursiver Prozess immerwährender Grenzziehung und entspricht den monetären Metazielen einer offenbar entarteten Gesellschaft – um nicht zu sagen Menschheit oder Menschlichkeit ?.

„Die Gesellschaft expandiert unter dem Druck von Bodensperre und Bevölkerungswachstum nicht nur in die Weite, sie expandiert gewissermaßen auch im Innern; sie differenziert sich, sie setzt neue Zellen an, sie bildet neue Organe, die Städte.“5

Der umbaute Raum als die Zelle – und die Zelle als materialisiertes Ergebnis des Drucks – das Konglomerat menschlicher Agglomerationen – begrenzt vom Nichtraum – vom Negativ seines Ist(Zustands) wird vom Individuum auf Grund seiner Orientierungslosigkeit strukturiert. Es – das Individuum – muss den Raum strukturieren – und spricht es von Freiheit – vom Raum ohne Grenzen – fasst es ihn – den Raum – in diesem Moment – und macht ihn begrenzt – engt ihn ein und erdrückt ihn mit der Dichte seiner Wahrnehmungskonstruktionen.

Die Bedeutung der Freiheit hat sich in sich selbst gekehrt um nicht zu sagen scheint verkehrt – die Freiheit abzugrenzen und einzugrenzen wird zur wirklichen Freiheit monetär infiltrierter Generationen.6 Wer es sich leisten kann – ob in der Zeit oder im Raum – zieht eine Grenze und sei es nur um seiner Individualität Ausdruck zu verleihen. Paradoxer physischer Raum – Grenzen monetärer Unfreiheit werden als die wahre Freiheit akzeptiert um im Angesicht dieses Trugschlusses Zonen sozialer Zugehörigkeit zu schaffen. Und während früher – in naturalwirtschaftlichen Zeiten – der Boden oder die Erde das einzugrenzende war um die Freiheit aufrecht zu erhalten und ihr Ausdruck zu verleihen – hat sich heute der Raumwert und damit auch die Grenze der Erde entzogen – der Boden wurde entlang der >Z-Achse< empor gehoben. Diese entwurzelten Grenzen sind Sinnbild einer Neoarbeitergesellschaft und formieren sich zu den Übergangszonen unserer Vorstädtischen Bereiche – dem grauen orientierungsfeindlichem Sprawl. Zuerst unkontrolliert – aber bald – also jetzt – defragmentiert und zentralisiert in archaischen Wohnideologien einer permanent erlebten Vergangenheit. Die Freiheit hat sich aus ihrem eigenen Grenzbereich bewegt – sich selbst entwurzelt – sich im eigenen Prozess der Befreiung eingesperrt. Unsere paradoxe Sicht von Grenzen und ihren inhärenten (Nicht)Freiheiten macht natürlich vom psychischen Raum nicht halt – Bildung definiert sich durch das was man nicht lernen darf – und die Unfreiheit wird durch die Freiheit nicht denken zu müssen erklärt.7

Den Raum nicht zu bauen und nicht zu denken wird zur wirklichen Freiheit einer paradoxen Realität !8

Der Umbaute Raum definiert sich durch Grenzen welche sich aus allen Potenzialen unserer jeweiligen kollektiven kausalen Vergangenheit permanent im momentanen Jetzt synthetisieren. Diese Synthese bildet innerhalb unserer kausalen Gewohnheitsstrukturen – Zeichen ihrer Zeit in Anbetracht der Vergangenheit – Ikonographien der menschlichen Orientierungslosigkeit – formieren sich zu Agglomerationen sogenannter Kulturkreise. Automatisiert – einem transzendentalem Zustand nahe – werden weiterhin eindimensionale Kisten im Raum gestapelt. Sie schreien einerseits nach Orientierung um im selben Augenblick – im Moment – Ausdruck einer kollektiven Desorientierung zu sein – ob nun bewusst oder unbewusst. Die Grenze der Auslieferung wird mit dem erlangen des Bewusstseins überschritten – kollektive Wirklichkeit ist – zeit jedes Lebens – innerhalb des individuellen Sozialisationsprozesses. Und so durchwandert man dieses Niemandsland, diesen Grenzzustand, diese Grenze, diesen Zwischenraum den umbauten Raum unserer kollektive Raumwirklichkeit innerhalb unbestimmter Lebenszeit.

Printschler Josef-Matthias, Graz 2012


1Watzlawick 2006, 35.
2
Vgl. Elias 1991, 190.
3
Vgl. Honneth 2010, 303.
4
Musil 1995, 1195.
5
Elias 1997, 69.
6
[Anm. d. V.] Man denke dabei zum Beispiel an Gated Communities oder Gentrifizierungsprozesse innerhalb unserer Agglomerationen. Während früher Kapitallose weggesperrt wurden – nehmen sich heute die Leute die das Kapital besitzen – die Freiheit – sich selbst wegzusperren. >Wegsperren< ist hier natürlich innerhalb einer relativen Betrachtungsperspektive zu verstehen.
7
[Anm d. V.] Die universitäre Identitätskrise führt zu einer Verschulung des Systems welches paradoxerweise von vielen Komulitonen/innen als Freiheit wahrgenommen wird. Die Grenzen eines fixen, gerahmten bzw. gefassten Stundenplans wird zur scheinbaren Freiheit konditionierter Individuen.
8
[Anm. d. V.] bzw. ein symbolentleerter Raum – und damit ein nicht sichtbarer Raum – wird zur eigentlichen Freiheit.


Bibliographie

Elias, Norbert : Über den Prozeß der Zivilisation, Bd. 2., Wandlungen der Gesellschaft : Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, Frankfurt am Main 1997

Elias, Norbert/Schröter, Michael (Hg.) : Die Gesellschaft der Individuen, Frankfurt am Main 1991

Honneth, Axel : Das ich im Wir, Studien zur Anerkennungstheorie, Berlin 2010

Musil, Robert : Der Mann ohne Eigenschaften, Reinbek bei Hamburg 1995

Watzlawick, Paul (Hg.) : Die erfundene Wirklichkeit : wie wissen wir, was wir zu wissen glauben?, Beiträge zum Konstruktivismus, München 2006


Ursprünglich habe ich den Artikel für Antitecture: Zeitschrift für Erkenntnisgewinn im umbauten Raum, Ausgabe01: Grenze geschrieben. Original Veröffentlichungsdatum war der 23.05.2012:

Die Grenze.pdf (stand 23.05.12)

Artikelbild: Printschler, Spielberg/Österreich 2012

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